[Foto: AdobeStock_Hein Nouwens]

Voraussichtliche Lesedauer:  6 Minuten

Botanische Kunst: Zeitlose Ästhetik der Pflanzen

Luisa Roth
Online-Redakteurin

Die Botanische Kunst hat sich zu einem eigenständigen zeitgenössischen Genre entwickelt. Sie versammelt Künstler*innen, die bewusst an weit in die Kunstgeschichte zurückreichende Traditionen anknüpfen, sich aber auch im Momentum gegenwärtiger ökologischer Fragen verorten lassen.

Was ist Botanische Kunst?

Die Botanische Kunst beschäftigt sich – wie der Name nahelegt – mit der künstlerischen Darstellung der Pflanzenwelt. „Wenn man die Pflanze gesehen hat und verstanden hat, kann man sie wiedergeben – in geschliffener Form. Das ist Botanische Kunst.“ So sagt es Sylvia Peter. Sie ist selbst Künstlerin, außerdem Galeristin in dem von ihr im Jahr 2009 mitbegründeten Forum Botanische Kunst in Thüngersheim, Bayern.

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Der Anspruch der Botanischen Kunst, Pflanzen in ihrer Morphologie korrekt abzubilden, zeigt die nahe Verwandtschaft zu Botanischen Illustrationen für Forschungszwecke. Dennoch geht es nicht allein um die objektive Darstellung einer Pflanze, sondern vielmehr um die Auseinandersetzung des Künstlers mit ihr: Einerseits ist diese facettenreiche Kunstform um Genauigkeit bemüht, auf der anderen Seite treffen die Zeichner*innen, die eine Pflanze abbilden – selbst für einen wissenschaftlichen Kontext –, ästhetische Entscheidungen. Tatsächlich ist die Botanische Kunst, wie sie heute verstanden wird, auch maßgeblich von der historischen Wechselwirkung zwischen Kunst und Wissenschaft geprägt. Das zeigt ein Blick in die Vergangenheit.

Die Botanische Kunst und ihre Ursprünge

Detailgetreue Zeichnungen und Malereien von Pflanzen dienten im Europa des 16. Jahrhunderts vorrangig der Dokumentation, beispielsweise zur Bebilderung in Heilpflanzen- und Kräuterbüchern, oder um Pflanzenarten auf Forschungsreisen zu katalogisieren. Das Benennen, Entnehmen und Kommerzialisieren der Pflanzen war dabei eng verwoben mit der kolonialen Gewalt zur Zeit der europäischen Expansion. Beim Zeichnen der Pflanzen kam es, um eindeutige Wiedererkennung zu gewährleisten, auf Genauigkeit an. Jedes Charakteristikum einer Pflanze – etwa die Formen und Farben ihrer Blüten, die Struktur ihrer Stängel oder die Proportionen der Blätter – mussten sorgfältig wiedergegeben werden. 

Die Botanische Kunst bewegte sich von Beginn an zwischen wissenschaftlicher Präzision und künstlerischem Ausdruck. Für wissenschaftliche Darstellungen war mitunter das handwerkliche Können von Künstlern und Künstlerinnen gefragt, gleichzeitig wuchs in der Kunst der Renaissance ein Bestreben, Pflanzen möglichst realgetreu abzubilden.

Historische Vertreter

Heute befindet sich Dürers Aquarell in der Albertina in Wien. [Albrecht Dürer_Wikipedia_Creative Commons]

Einige Namen werden gemeinhin als besonders einflussreich für die Botanische Kunst genannt. 1503 malte Albrecht Dürer sein berühmtes Aquarell Das große Rasenstück. Die realistische Naturstudie des Malers zeigt ein Stück Wiese, bestehend aus unterschiedlichen Gräsern und Wildkräutern, darunter etwa Löwenzahn, Wegerich und Schafgarbe.

Mit diesem – man könnte sagen – ganz und gar gewöhnlichen großen Rasenstück, traf Dürer zu seiner Zeit aber tatsächlich eine ungewöhnliche Motivwahl. Denn zwar wurde auch in anderen Malereien nicht mit pflanzlichen beziehungsweise floralen Elementen gegeizt, allerdings stand hier doch in der Regel das Außergewöhnliche und eben unverkennbar Schöne im Vordergrund.

Noch dazu entschied sich Dürer, eine Pflanzengemeinschaft zu porträtieren, ganz so, wie sie an dieser Stelle natürlicherweise zusammengefunden hatte, statt wie sonst üblich, einzelne Pflanzen symbolhaft herauszugreifen.

Rund 40 Jahre später wurden im New Kreüterbuch des Mediziners und Botanikers Leonhard Fuchs insgesamt 511 Holzschnitte veröffentlicht, angefertigt von den Künstlern Albrecht Meyer, Heinrich Fullmaurer und Veit Rudolf Speckle. Die Darstellung einzelner Gewächse mitsamt ihrer Wurzeln vor einem neutralen Hintergrund avancierte zum neuen Standard.

Botanische Kunst – ein kolorierter Kupferstich der Forscherin und Künstlerin Maria Sibylla Merian, der eine Paprikapflanze mit roten, grünen und gelben Früchten zeigt, begleitet von Blättern, die vom Raupenfraß beschädigt sind. Zu sehen sind außerdem eine große grüne Raupe, die am rechten unteren Bildrand auf der Pflanze sitzt, daneben ein schwarz-weiß gemusterter Schmetterling, der sich sitzend auf einer unreifen grünen Paprikafrucht am linken Bildrand befindet.
60 Bildtafeln waren in Metamorphosis insectorum Surinamensium enthalten. [Maria Sibylla Merian_Wikipedia_Creative Commons]

Ebenfalls stilprägend wurden schließlich Anfang des 18. Jahrhunderts die Arbeiten der Naturforscherin und Künstlerin Maria Sibylla Merian. Anhand mehrerer Kupferstiche dokumentierte sie in Südamerika verschiedene Insekten im Zusammenspiel mit jenen Pflanzen, die den Tieren als Lebensraum und Nahrung dienen.

Ihre Forschungsergebnisse in Form von Texten und Illustrationen ergaben dann ihr Hauptwerk, das den Namen Metamorphosis insectorum Surinamensium (Verwandlung der surinamischen Insekten) trägt. Merians Blick für die Wechselbeziehungen der Natur kann man in ihren Bildern an besonderen Details ablesen. So hatte sie beispielsweise die vom Raupenfraß gelöcherten Blätter einer Chilipflanze nicht etwa ausgespart oder korrigiert, sondern als wesentlichen Bestandteil des Ganzen aufgefasst und abgebildet.

Wiederbelebung der Botanischen Kunst

Das England der 1980er-Jahre wurde zur Keimzelle der Wiederbelebung Botanischer Kunst. Einen institutionellen Rahmen erlangte die Bewegung dann zuerst 1985 mit der Gründung der Society of Botanical Art (SBA) durch Suzanne Lucas. Heute gibt es neben eigens gegründeten Gesellschaften auch Galerien und Zeichenkurse, die sich nur mit der Darstellung von Pflanzen beschäftigen. In Deutschland fanden sich seither ebenfalls zahlreiche Organisationen zusammen, die sich der Förderung und Vernetzung Botanischer Künstler*innen verschrieben haben. 

Initiiert von Sylvia Peter und Verena Redmann entstand hier im Jahr 2014 das Netzwerk Botanische Kunst, das unter anderem jährliche Treffen für Künstler*innen organisiert. Neben dem bereits erwähnten Forum Botanische Kunst gründete sich im Herbst 2022 auch der gemeinnützige Verein Botanische Kunst Deutschland (VBKD). Auch sie möchten diese faszinierende und facettenreiche Kunstrichtung sowie deren Kunstschaffende bekannter machen.

In der heutigen Botanischen Kunst stehen die genaue Beobachtung von Struktur, Farbe und Habitus einer Pflanze noch immer im Fokus. Den Kunstschaffenden dieses Genres geht es aber nicht ausschließlich darum, die Ästhetik, Schönheit und Vielfalt der Pflanzenwelt darzustellen, sondern auch darum, die ökologische Bedeutung von Pflanzen anzuerkennen, indem sie mitunter auf den Schutz seltener und gefährdeter Arten hinweisen und diese für die Nachwelt im Bild erhalten.

Zeitgenössische Positionen

Zeitgenössische und internationale künstlerische Positionen haben indes auch für eine neue Vielfalt in der Botanischen Kunst gesorgt. Das betrifft auch die Motivwahl, außerdem Stilistik und Techniken. Und doch lassen sich an der ein oder anderen Stelle noch die Wegweisungen einiger historischer Vorläufer ausmachen.

Einen direkten Verweis auf die Botanische Kunstgeschichte machte herman de vries schon Ende der 80er-Jahre mit seinem dem Aquarell Dürers gleichnamigen Werk das große rasenstück (1979). Doch statt sich in realitätsgetreuen Darstellungen zu verlieren, lässt de vries das Material der Natur für sich selbst sprechen und beschließt damit zugleich das Ende einer vergangenen künstlerischen Tradition. Hinter einer Glasscheibe präsentieren sich die gepressten Pflanzen und Samen so selbst auf weißem Hintergrund.

Asuka Hishiki: Casanova
Asuka Hishikis Aquarell trägt den Namen Casanova.
[© Asuka Hishiki]

Mit größter technischer Präzision und einem besonderen Blick für das Sonderbare zeigt uns Asuka Hishiki eine Reihe ungewöhnlich geformter, mit Dellen, Rissen oder Faulstellen versehener Tomaten aus altem Sortenbestand. Jede einzelne lässt sich nur als absolutes Unikum erkennen – ‚Individuum‘ möchte man fast sagen. Gleichzeitig fordert die Künstlerin uns und sich selbst in unserer menschlichen Sichtweise heraus. Sie fragt sich: Bin ich es, die den Tomaten eine Persönlichkeit zuschreibt? Oder haben sie diese wirklich?

Wenn sich dann noch wie in einem ihrer Aquarelle mindestens acht Käferraupen auf einer Tomate tummeln, macht sie damit auf größere Zusammenhänge aufmerksam, nicht unähnlich dem, wie es einst Maria Sibylla Merian tat. Hier könnte man sich dann schließlich auch – gerade als Gärtner*in – selbstkritisch fragen, wie sehr man sich am Naturschönen eines solchen Szenarios noch erfreuen könnte, sollte es sich dabei um das eigene Gemüse handeln. 

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